Populismus – Die Zeichen stehen auf Kampf
Der Populismus ist einerseits Indikator einer tiefgreifenden Krise der repräsentativen Demokratie – denn wer will sich heute überhaupt noch regieren lassen? Andererseits ist das Wort ein Kampfbegriff, der die Gesellschaft nur noch weiter auseinanderzutreiben droht. Dies sind zwei der Ergebnisse, die ich von einer „After-Work-Diskussion“ des Stifterverbands in der letzten Woche mitgenommen habe und mit euch teilen will.
Die Runde
Als Vertreter der Politik war Thomas Kleine-Brockhoff geladen – bis Ende 2016 Chef im Planungsstab des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck und nun Leiter beim German Marshall Fund of the United States (GMF). Den wissenschaftlichen Beobachter gab der Soziologe Hans Joas und aus dem Lager der Wirtschaft stachelte der Unternehmer Jürgen Heraeus mit seiner Kritik an der Trägheit und Intransparenz des Staates die Runde an.
Zentrales Anliegen der Runde ist es, mit dem vereinfachten Bild des Populismus zu brechen. Die Bewegung sei nicht nur Zufluchtsort einer abgehängten Masse von Unzufriedenen. Populistische Parteien formulieren Alternativen, deren Attraktivität aus der Kritik an der gegenwärtigen Politik resultiert – Nation statt Globalisierung, ethnische Zugehörigkeit statt kosmopolitischen Denkens usw. Die Strahlkraft und den Organisationsgrad dieser Bewegung hätte man daher unterschätzt und sie als dumm stigmatisiert.
Vom Kampf zur Versachlichung
Was aber ist falsch daran, Trump, Le Pen, AfD und Co den Kampf anzusagen? Sind sie es nicht, die mit ihren „Fake News“ rationale Argumente verdrängen und durch nationales oder sogar völkisches Gedankengut ersetzen? Das mag ja alles stimmen. Dennoch sei es problematisch per se zu behaupten, „wir“ hätten Recht und für die Populisten gelte das Gegenteil. Wer anderen Betrug vorwirft, macht sich angreifbar. Die etablierte Politik muss daher aufpassen, sich nicht das eigene Grab zu schaufeln. Das gelte vor allem in einer Zeit, in der die Menschen immer weniger Vertrauen in die repräsentative Demokratie haben – die Leute wollen beteiligt und in politische Prozesse eingebunden werden.
Was aber soll man tun? Der Sozialwissenschaftler Joas rät zur Versachlichung der Debatten. Dabei sei bereits das ständige Gerede von „dem Populismus“ das Problem. Populismus ist laut Joas ein Kampfbegriff, mit dem wir das, was wir bekämpfen wollen, erst erschaffen. In diesem Zusammenhang helfe es nicht, wenn ein Bundespräsident von einer neuen „Freude an Dummheit“ spricht. Ebenso kritisch sieht Joas den tosenden Applaus, den man für solche Äußerungen erntet.
Verstehen lernen
Während wir den Begriff Populismus nämlich als Kampfvokabel nutzen, scheint das Label von „der Szene“ positiv umgedeutet zu werden. Der Begriff ist also in ständiger Bewegung, wie Andreas Schlüter, Generalsekretär des Stifterverbands, feststellt. Diese doppelte Bedeutung des Begriffs Populismus deutet auf eine gesellschaftliche Spaltung hin, die die Experten als das Hauptproblem der gegenwärtigen politischen Landschaft begreifen. Anstatt eine sachliche Debatte über Migration zu führen, stehen sich zwei geschlossene Fronten gegenüber – die einen beschwören die Humanität, die anderen sehen einen Strom von Terroristen und Sozialschmarotzern auf uns zukommen.
Insgesamt wird also für eine Entstigmatisierung des Phänomens plädiert – ein „die Dinge verstehen Wollen“ soll das „Gesellschaftsbild in Schwarz und Weiß“ ersetzen. Der Kampf gegen die Populisten soll also durch eine nüchterne Analyse dieses Symptoms ersetzt werden, hinter dem sich eine gesellschaftliche Spaltung verbirgt.
Sachliche Leidenschaft
Bei aller Versachlichung darf man meiner Ansicht nach jedoch nicht vergessen, dass Politik eben keine nüchterne Angelegenheit ist. Bereits Max Weber verwies auf die Leidenschaft, die jede Form von Politik prägt. Am Ende geht es sowohl PolitikerInnen als auch BürgerInnen um die Identifikation mit bestimmten Werten und Vorstellungen. Die gesellschaftlichen Spannungen werden sich nicht allein durch die besseren Argumente lösen lassen. Man braucht Menschen, die Ideen mit Begeisterung leben und tragen. Damit bleibt es eine offene Frage, in wie weit man „den Populisten“ das Feld der Leidenschaft so kampflos überlassen sollte.
Von: Alexander Hirschfeld
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