Arbeit heute – Kommunikation und Motivation als Lebensaufgabe

Für viele erscheint die Welt der Startups als Paradies auf Erden: junge Menschen, die ununterbrochen in ihren Coworking Spaces brainstormen, entwickeln, programmieren und testen – und dabei offensichtlich jede Menge Spaß haben. Aus soziologischer Perspektive stellt sich die Frage, was genau diese ‚Lust‘ an der Arbeit hervorbringt. Dabei sieht man, dass es sich nicht nur um ein Wollen, sondern auch um ein Müssen handelt.    

Startups stellen klassische Unternehmenshierarchien in Frage und machen sich wenig aus geregelten Arbeitszeiten und finanzieller Sicherheit. Die unabhängigen Unternehmer – insbesondere in westlichen Großstädten und urbanen Regionen anzutreffen – tun nicht einfach das, was ein Vorgesetzter von ihnen verlangt, sondern nehmen die Dinge selbst in die Hand. Sie evaluieren den Markt, entwickeln ein Produkt und bringen es schnellstmöglich unter die Leute. Startups leben für die Arbeit, denn sie identifizieren sich mit ihren Ideen. Lange Arbeitszeiten und eine geringe Bezahlung nimmt man gerne in Kauf, wenn es dem Erfolg des eigenen Projekts dient. Startups konzentrieren sich auf eine neue Art von Produkten, was eine leger-autonome und projektbezogene Arbeitsweise begünstigt. Um beispielsweise ein soziales Netzwerk wie Facebook zu entwickeln, benötigt man nicht viel mehr als einen Computer und hinreichende Kenntnisse im Programmieren. Darüber hinaus geht es jedoch auch darum, die Interessen der Menschen zu erkennen. Aus diesem Grund dreht sich in der Startup-Szene alles um Ideen. Mit der richtigen Idee zieht man Investoren an Land und motiviert sich und seine Mitstreiter.

All das spiegelt sich im Arbeitsalltag wider: Werte wie Unabhängigkeit und Kreativität vereinen die unterschiedlichen Unternehmer der Gründerszene zu einer Bewegung, in der man sich eher als Mitglied denn als Konkurrent begreift. Der geteilte Lebensstil wird in Coworking Spaces genannten Gemeinschaftsbüros zelebriert. Jeder kennt Geschichten über Unternehmen, die ihre Angestellten dermaßen überfordern, dass das Büro am Ende auch als Wohnraum und Schlafgelegenheit herhalten muss, um dem hohen Arbeitspensum noch gerecht werden zu können. Das Besondere an Startups: Man tut all das mit leidenschaftlicher Begeisterung!

Startups arbeiten und leben also anders. Doch welche Auswirkungen hat das auf unsere Gesellschaft? Mit dem Versprechen der Autonomie und Selbstverwirklichung gelingt es ihnen, vor allem junge und gut gebildete Arbeitskräfte zu „ködern“. Auf der Jagd nach High-Potentials folgen immer mehr Unternehmen dem Vorbild von Google, Facebook und Co, indem sie ihre Büros schrittweise in eine Freizeit- und Erlebnislandschaft verwandeln. Diese milliardenschweren Konzerne der Digitalwirtschaft lassen sich selbstverständlich längst nicht mehr als Startups bezeichnen. Sie bilden jedoch das Zentrum eines neuen kapitalistischen Geists und dazu korrespondierenden Arbeitsethos im Sinne Max Webers, der an den Mythos des Gründens gebunden bleibt.

Mit dem Aufstieg dieses Ethos rückt der emotionale und kommunikative Kreativunternehmer ins Zentrum der Arbeitswelt. Er klammert sich voller Begeisterung an seine Ideen und Projekte und ist in der Lage, sich selbst und andere zu motivieren. Der externe Zwang von Seiten der Führung bzw. des Managements ist damit verschwunden. Das bedeutet jedoch nicht, dass man einfach frei ist und das tut, was man „wirklich“ will. Michel Foucault würde es so beschreiben: Es entsteht ein Zwang zu sozialer Aktivität, der jede Verantwortung auf das Team überträgt. Daraus ergeben sich Kontrollmechanismen, die das Gemeinschaftsgefühl in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen. Jeder, der zum Beispiel zu wenig arbeitet, schadet den anderen. Wer eine Gehaltserhöhung fordert, tut dies auf Kosten des übrigen Teams. Eng damit verbunden ist der Zwang, ständig zu kommunizieren, und vor allem über die eigenen Gefühle zu sprechen. In David Eggers Bestseller-Roman ‚The Circle‘ wird dies zur Dystopie völliger Transparenz im Zeitalter digitaler Medien zugespitzt. Alle Angestellten haben die Pflicht, alles mit ihren Kolleginnen und Kollegen zu teilen. Motivation und sozialer Zusammenhalt im Team werden also zur Lebensaufgabe.

Was aber bedeutet das für die Chance auf beruflichen Erfolg? Kann heute jeder ein Unternehmer werden? Auf den ersten Blick scheint dies tatsächlich der Fall, denn Startups legen relativ wenig Wert auf formale Bildungstitel. Wie schon Pierre Bourdieu wusste, äußert sich soziale Ungleichheit aber auch in Form kultureller Feinheiten. Ein erfolgreicher Startup-Unternehmer muss in der Lage sein, zu netzwerken und ein Gespür für Trends besitzen. Wen überrascht es, dass sich das dafür nötige Selbstbewusstsein und kulturelle Feingefühl in „bildungsnahen“ Schichten konzentriert?

Von Alexander Hirschfeld

Photo credit: Inhabitat via VisualHunt / CC BY-NC-ND

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