Im modernen Profifußball ist seit einiger Zeit die Rede von einer Wachablöse der Trainer und ihrer Methoden: ‚Schleifer‘ wie Felix Magath werden ersetzt durch eine Generation jüngerer Trainer, deren wohl prominentester Vertreter Thomas Tuchel ist. Klassischer Drill ist nicht mehr zeitgemäß, es kommt nun auf innovativere Techniken an. Dass die körperliche und geistige Disziplinierung der Spieler damit aber nicht zwangsläufig verschwindet, zeigt ein Blick auf Tuchels Methoden durch die Brille Foucaults.
In seinem Buch ‚Überwachen und Strafen‘ beschreibt Foucault die Disziplin als eine zentrale Machttechnik der Moderne: der Mensch gilt als etwas Formbares, das sich produktiv gestalten lässt; durch die gezielte Intervention werden Körper und Geist auf bestimmte Zwecke hin ausgerichtet. Zwar geht es in ‚Überwachen und Strafen‘ dabei vor allem um die Institution des Gefängnisses und den Gefangenen, aber auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen, so etwa im Fußball, lässt sich erkennen, wie über Maßnahmen der Disziplin versucht wird, eine bestimmte Effektivität zu gewährleisten.
Als guter Trainer im Sinne der Disziplin gilt derjenige, der es schafft, seinen Spielern bestimmte Abläufe, Mechanismen oder Routinen einzuschärfen, bis diese auch im Punktspiel funktionieren. Jeder Spieler hat dabei seiner Position entsprechend verschiedene Aufgaben zu erfüllen und im Training werden bestimmte Passfolgen und Laufwege so lang wiederholt, bis die Spieler die erwünschten Denk- und Verhaltensweisen verinnerlicht haben. So ist der zentrale Mittelfeldspieler in anderer Weise ‚konditioniert‘ als zum Beispiel der linke Außenverteidiger.
Dass sich Tuchels Trainingsmethoden auf den ersten Blick stark von diesem konventionellen Vorgehen unterscheiden, heißt nun aber nicht, dass Disziplin keine Rolle mehr spielt. Unter Tuchel trainieren Spieler beispielsweise mit Gegenständen in den Händen, um sich das Ziehen am Trikot des Gegners abzugewöhnen und die Form des Spielfeldes wird so zugeschnitten, dass nur die gewünschten Lauf- und Passwege möglich sind. Dies ist eindeutig Bestandteil der Disziplinarmacht: Es geht darum, das Verhalten der Spieler in eine klare Richtung und in einer zuvor festgelegten Art zu beeinflussen. Die Methoden mögen ungewöhnlich und neuartig erscheinen, aber sie verfolgen doch ein ganz klassisches Ziel.
Was macht Tuchel dann so innovativ und bringt ihm den Titel des ‚Gehirntrainers‘ ein? Er greift auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurück, die auf effektiveres Lernen durch hohe Variabilität zielen. Das bedeutet, dass Spieler im Training mit einer Vielzahl von Situationen konfrontiert werden, die für ihre eigentlich angestammte Position nicht zwangsläufig typisch sind. Sie sollen sich freier bewegen und denken als ihre Rolle es klassischerweise vorsieht. Denn es wird davon ausgegangen, dass dem Lernprozess die Schranken genommen werden, wenn man während des Trainings auf positionsspezifische Regeln verzichtet. Das scheint auf den ersten Blick eine größere Freiheit für die Spieler zu bedeuten.
Letztlich ist damit aber das Ziel verbunden, eine höchstmögliche Anpassungsfähigkeit an unterschiedlichste Situationen zu erreichen – die Spieler sollen in flexible Subjekte verwandelt werden. Dieser ‚Imperativ der Flexibilität‘ kann als neue Machttechnik verstanden werden, die der ständigen Veränderung der Spielsituation Rechnung trägt. Ein guter Spieler ist dann nicht mehr der, der nur die Anforderungen an seine Positionen verinnerlicht hat und ihnen gerecht wird, sondern der, der sich auch frei bewegt und in jeder Situation eine gute Lösung findet. Indem der Variabilität ein so großer Stellenwert zukommt, wird es beispielsweise möglich, einen Arjen Robben für die Vorhersehbarkeit seiner Spielweise zu kritisieren, auch wenn diese so oft erfolgreich ist.
Als guter Trainer des Typs Tuchel gilt dann der, der in der Lage ist ein Spiel ‚zu lesen‘. Man lässt den Spielern etwas mehr Leine und versucht, im entscheidenden Moment die richtigen Impulse zu setzten. Foucault vergleicht diese neue Machttechnik mit dem Steuern eines Schiffes. Über Wellen, Brandung, Wind und andere äußere Bedingungen hat man keine Kontrolle; man muss in jeder Situation aufs Neue all diese Faktoren in ihrem Zusammenhang evaluieren. Im Unterschied zur Disziplin, deren Vorbilder Militär und Gefängnis sind, bilden die liberale Ökonomie und die Idee des sich selbst regulierenden Marktes den Kern dieses Machtmechanismus. Genau wie der Markt ändert sich das Spiel ständig – nur der flexible Mensch schafft es an die Spitze.
von Maximilian Thieme und Alexander Hirschfeld
Maximilian Thieme ist Student der Soziologie und Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit besonderem Interesse an Wissenschaftssoziologie, Diskurstheorie und Kritischer Theorie.
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